Die Macht der Mehrheit
Die Macht der MehrheitMeg Crofoot ist seit 2019 Alexander von Humboldt-Professorin an der Universität Konstanz. Hier berichtet die US-amerikanische Verhaltensökologin von ihrer Forschung an Primaten und spricht über ihre Rolle als Frau in der Wissenschaft.
Was macht uns Menschen aus?Für Meg Crofoot sind es nicht unsere individuellen Leistungen, die uns besonders machen, sondern vielmehr das, was passiert, wenn wir in Gruppen interagieren. Wir haben die spezielle Fähigkeit, unser Verhalten zu koordinieren und zusammenzuarbeiten, um Ziele zu erreichen. Diese Fähigkeit ist die Basis für die Entstehung komplexer sozialer Systeme. Crofoot will wissen, wie diese Fähigkeiten entstanden sind und wie sie unsere sozialen Verbindungen formen.
GruppendynamikAntworten sucht sie bei unseren nächsten Verwandten – den Primaten. In Kenia untersucht Crofoot mit ihrem Team das Gruppenverhalten von Pavianen.
Im Dienst der ForschungDank GPS-Technik verfolgen die Forscher*innen komplette Gruppen über längere Zeiträume und untersuchen so, wie die Tiere im Kollektiv agieren. Dafür statten sie sie mit Sendern aus, wie hier am Handgelenk des Pavians.
Wer bestimmt den Weg?Die Daten sollen Antworten darauf liefern, wie die Gruppen entscheiden, in welche Richtung sie sich bewegen – zum Beispiel bei der Nahrungssuche.
.
Doch kein AnführerAber wider Erwarten gibt es keinen Anführer, der die Gruppe lenkt. Übersetzt in ein Video zeigen die GPS-Daten der Forscher*innen, wie sich diese Pavian-Gruppe bewegt. Das Ergebnis:
Die Mehrheit entscheidetWenn die Gruppenmitglieder zwei unterschiedliche Wege einschlagen, bewegt sich die Gruppe letztlich in die Richtung der Mehrheit. Gehen in beide Richtungen gleich viele Mitglieder, nimmt die Gruppe den Mittelweg. Die Ergebnisse von Crofoot und ihren Kollegen stellen also die bisherigen Vorstellungen auf den Kopf.
Soziales Lernen
Überraschung im RegenwaldEin weiterer Forschungsort von Crofoot und ihrem Team: Die Wälder der zu Panama gehörenden Inselgruppe Coiba. 2018 fingen die Kamerafallen der Forscherin dort etwas für sie sehr Überraschendes ein:
WerkzeugeinsatzEin Kapuzineraffe knackt die Schale einer Seemandelfrucht mit einem Stein. Auf dem Festland werden Kapuzineraffen seit mehr als 30 Jahren erforscht. Werkzeugeinsatz wurde dort noch nie beobachtet. Was ist auf der Insel anders? Es gibt eine ganze Reihe von Unterschieden zwischen den Ökosystemen, aber zwei davon hält Crofoot für besonders wichtig: Zum einen ist die Nahrungsauswahl begrenzter – die Tiere könnten also gezwungen sein, neue Quellen zu erschließen. Dazu kommt, dass sie auf Coiba keine Feinde haben, es gibt zum Beispiel keine Ozelots. Darum können die Kapuzineraffen hier gefahrlos mehr Zeit auf dem Boden verbringen, was den Werkzeugeinsatz erleichtert.
Soziales LernenFür Crofoot ist die Beobachtung noch aus einem anderen Grund interessant. Sie will verstehen, wie Verhaltensweisen und Traditionen wie der Werkzeugeinsatz entstehen und wie sie weitergegeben werden. Vor allem die Weitergabe zwischen Tieren setzt voraus, dass sie zu sozialem Lernen fähig sind.
Lokal begrenztIn dem Zusammenhang interessieren die Forscher*innen zwei Beobachtungen: Der Einsatz von Werkzeugen ist lokal sehr begrenzt, auf einen kleinen Abschnitt der Insel. Anders als andere Traditionen wurde der Werkzeuggebrauch also offenbar bislang nicht zwischen Gruppen weitergegeben. Obwohl die Bedingungen auf dem gesamten Archipel gleich sind. Die Forscher*innen vermuten daher, dass die Weitergabe der Werkzeugtradition doch komplexer ist als sie bislang dachten. Und auch für eine weitere Beobachtung haben sie noch keine Erklärung:
Reine Männersache?Von Tausenden Fotos und Videos, die die Fallen vom Werkzeuggebrauch der Tiere aufgenommen haben, gibt es nur eine einzige Aufnahme eines Weibchens. Für Crofoot und ihr Team ist das ein Rätsel. An der Kraft liegt es nicht. Die Aufnahmen zeigen, dass auch junge Männchen, die kleiner als erwachsene Weibchen sind, die Steinwerkzeuge nutzen.
Rarität wider Willen
Lehrstuhl am BodenseeDie genauere Auswertung der Daten läuft noch. Seit 2019 plant und steuert die US-Forscherin dieses und andere Projekte von Deutschland aus. Nach Stationen am Smithsonian Tropical Research Institute und der Universität von Kalifornien, Davis, ist sie als Alexander von Humboldt-Professorin an die Universität Konstanz gewechselt. Hier leitet sie den Lehrstuhl für die Ökologie der Tiergesellschaften
Über den TeichZusammen mit ihrem Mann Andreas und ihrer Tochter Katharina ist Crofoot von Kalifornien an den Bodensee gezogen. Ein großer Schritt?
In der MinderheitAls Alexander von Humboldt-Professorin gehört Crofoot zu einer Minderheit. Noch immer werden deutlich mehr Männer als Frauen für die begehrten Stellen nominiert. Dass aber immer wieder hervorgehoben wird, dass sie eine Frau ist, überrascht die Forscherin.
VorbilderCrofoot sieht sich und andere Spitzenforscherinnen in der Verantwortung, die nächste Forscherinnen-Generation zu unterstützen und sich für gerechtere Bedingungen einzusetzen. Um den Frauenanteil nachhaltig zu erhöhen, reiche das alleine aber nicht. Daran müssten auch die Männer mitwirken, sagt Crofoot.
Neue ImpulseWissenschaft ist innovativer, wenn Spitzenforscherinnen und -forscher das ganze Spektrum der Gesellschaft abbilden und nicht nur einen engen Kreis. Crofoot ist sich sicher, dass unterschiedliche Perspektiven ein Schlüssel sind, um die großen wissenschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen. Darum begrüßt sie den Fokus der Alexander von Humboldt-Stiftung, Wissenschaftler*innen weltweit zu vernetzen. Kooperation ist essentiell, um ihre Forschungsziele zu erreichen. Ihre Humboldt-Professur in Konstanz will Crofoot daher nutzen, ein weltweites Forschungsnetzwerk aufzubauen. Ihr Ziel: Besser verstehen, wie komplexe Tiergesellschaften entstehen und funktionieren.
Scrollen, um weiterzulesen
Wischen, um weiterzulesen
Wischen, um Text einzublenden
Die Macht der Mehrheit
Interview Meg Crofoot
Was macht uns Menschen aus?
Gruppendynamik
Interview Meg Crofoot
Im Dienst der Forschung
Wer bestimmt den Weg?
Interview Meg Crofoot
Doch kein Anführer
Die Mehrheit entscheidet
Interview Meg Crofoot
Überraschung im Regenwald
Werkzeugeinsatz
Soziales Lernen
Interview Meg Crofoot
Lokal begrenzt
Reine Männersache?
Interview Meg Crofoot
Lehrstuhl am Bodensee
Interview Meg Crofoot
Über den Teich
Interview Meg Crofoot
In der Minderheit
Interview Meg Crofoot
Vorbilder
Interview Meg Crofoot
Neue Impulse